Donnerstag, 26. Mai 2011

Lagarde – En garde

Zweifellos hat die französische Ministerin alle persönlichen Voraussetzungen für die Bewerbung als Chefin des IWF. Dazu kommen die Empfehlungen zweier politischer Schwergewichte, des französischen Staatspräsidenten Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Merkel.
So weit, so gut. Aus der Tradition, dass Europa den Chefposten des IWF besetzt, kann natürlich kein Rechtsanspruch abgeleitet werden. 

Das Argument, das gegen eine erfolgreiche Bewerbung Lagardes spricht, ist die Bewerbung anderer Personen, wie die des Chefs der mexikanischen Zentralbank, Agustín Carstens.

Rein in der Optik unterscheiden sich beide Personen, auf der einen Seite die hagere Französin, auf der anderen der schwergewichtige Carstens von dem man sagt, dass er körperlich ungeschickt sei.

Für ihn sprechen die amerikanische Ausbildung und seine Tätigkeit als ehemaliger Vize-Direktor des IWF. Aus einem so genannten Schwellenland kommend  wird er seitens dieser Gruppe viel Unterstützung erfahren. 

Geithner als US-Finanzminister wird möglicherweise den Kandidaten besser bewerten, der mehr Affinität zu den USA und den Schwellenländern hat, zumal er damit auch zeigen kann, dass diese in der internationalen Finanzwelt mehr Gewicht erhalten. Hier kann er seinen Tribut dazu leisten und das Ansehen der USA verbessern.

Die Entscheidung zwischen beiden Kandidaten: des Vertreters der Schwellenländer mit USA-Ausbildung, einschlägiger Erfahrung im IWF, seinem Amt als „Gobernador“ der mexikanischen Zentralbank und der Vertreterin Europas mit Ministererfahrung, Arbeit in einer US-Rechtsanwaltskanzelei und einem Flecken auf ihrer weißen Weste, wird sich schwierig gestalten.

Ausschlaggebend könnte ein psychologisches Moment werden, nicht unbedeutend für die Entscheidung.
Die Strauß-Kahn-Affäre drückt negativ auf Europa. Als Multimillionär und Sozialist transportiert er, über den mutmaßlichen Sexskandal hinaus, ein für Schwellenländer nicht vereinbares Image. Selbst unter der Maßgabe der Unschuldsvermutung wird die vermeintliche Aggression eines Weißen gegen eine Farbige, eines sozialistischen Kapitalisten gegenüber einer Arbeiterin, das Bild Europas bei dieser Kandidatur Lagardes nicht verbessern sondern belasten.

Ebenfalls diskussionswürdig erscheint die Meinung der Europäer, dass wegen der Krise in der EU ein Europäer diesen Posten wahrnehmen solle, weil er die wirtschaftlichen Konstellationen und Interdependenzen besser kenne. Gerade dieses ließe sich auch argumentativ umkehren.
Um die einseitige Bewertung der europäischen Wirtschaftsproblematik durch Strauss-Kahn und in seiner Nachfolge Lagarde aus dem IWF herauszunehmen und die Politik anders zu fokussieren, wäre eine erfolgreiche Kandidatur des Mexikaners für die Institution von Vorteil.

Carstens selbst wird nachgesagt, dass er in der mexikanischen Bevölkerung nicht beliebt sei. Das zeigt meines Erachtens aber, dass er befähigt ist, eigenständige Entscheidungen zu treffen, unabhängig von der öffentlichen Meinung und an Fakten orientiert. Er scheint nicht so politisiert zu sein wie Strauss-Kahn und Lagarde.

Dass ihm eine große Nähe zu seinem Präsidenten Calderón nachgesagt wird, kann positiv wie negativ bewertbar sein. Vertrauen ist kein Makel, Abhängigkeit kann es sein. Auf der anderen Seite: Wer gelangt ohne Unterstützung in Spitzenpositionen? „El que tiene padrino, se bautiza“ (Nur wer einen Taufpaten hat, wird getauft), sagt ein spanisches Sprichwort mit weltweitem Wahrheitsgehalt.

Die Frage, ob es von Nachteil sei, einen Mann wie Carstens an die Spitze des IWF zu wählen, ist nicht eindeutig zu beantworten, weil sich die wahren Qualitäten des Direktors erst bei der Ausübung seines Amtes zeigen. 

Wichtig ist die Frage nach dem Ausmaßes der Unabhängigkeit. Strauss-Kahn war gefangen in seiner französisch / europäischen Weltanschauung mit der Perspektive, französischer Staatspräsident zu werden. Darum agierte er eindeutig europaorientiert.

Eine Amtsausübung durch den möglichen mexikanischen Direktor kann aber auch für Europa von Vorteil sein, denn eine kritischere Bewertung der EU-Finanzproblematik scheint doch angesagt, weil es besonders seitens Deutschlands eine systemische Befangenheit gibt.

Durch einen Perspektivenwechsel, der, wie gesagt, von Europäern nicht zu leisten ist, können wir von der „Alternativlosigkeit“ des finanzpolitischen Handels (s. Aussagen von Merkel / Schäuble) zu anderen Lösungsstrategien gelangen.

Der Blick über den Tellerrand der Europäischen Union und der Euro-Gruppe kann nur von außen geleistet werden.

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